Friday, December 2, 2016

USA heute: Donna – vom Leben und Überleben einer amerikanischen Indianerin

Dr.  med. vet. Edith Breburda


Jeden Donnerstag und Samstag kann man Donna in der letzten Bank einer Stadtkirche im mittleren Westen der USA finden. Ihr immer zu ihrem Kleid passender Hut umrahmt ein sympathisches, fast jungenhaftes Gesicht der Anfang 70-jährigen Dame.
Tief in Gedanken versunken, lässt sie ihren Rosenkranz durch ihre Hand gleiten. Es sind kaum noch Leute in der Kirche, das Allerheiligste wurde nach der Messe wieder eingesetzt, und die Schlange der Beichtenden hat sich verflüchtigt.
So wage ich es Donna anzusprechen. Es interessiert mich ob sie mit den vielen Christen an der 54-tägigen Rosenkranz-Novene für einen guten Ausgang der Wahl teilnimmt. Vielleicht hätte ich es nicht tun sollen, denn wir beide saßen geschlagene 2 Stunden und plauderten, leise und verhaltend, obwohl die Kirche nun wirklich leer war. Nur der Kirchendiener schlich an uns vorbei, schloss die Tür jedoch nicht ab und verschwand nach ein paar Sekunden wieder.
Donna hatte etwas sehr Einvernehmendes an sich; ihre Mutter war Deutsche und Ihr Vater Indianer. Ja, jetzt wo sie es sagt, sah man es - warum ich da nicht sofort darauf gekommen bin?
Donna erzählt von den letzten Jahren, von der großen Rezension: „Nein, es war keine Rezension, es war eine Depression, schlimmer als in den zwanziger Jahren.“
Sie und ihre Familie waren in Kalifornien. Sie waren sehr wohlhabend, haben jedoch 2007 alles verloren. Donna und ihr Mann fuhren damals durch die Stadt und schauten sich die Brücken an, bis sie eine fanden, wo ein Fastfood-Restaurant gleich um die Ecke war.
„Hier ist es schön, sagten wir zueinander, „dort gibt es ein McDonald, so müssen wir wenigstens nicht verhungern.“
So viel realistischer Optimismus inmitten einer Notlage ist erstaunlich: „Ich sitze hier immer und übergebe alles dem lieben Gott, er wird sich wohl denken: ‚Oh schon wieder unsere Donna! Ich kann es nicht mehr hören! ‘
Und dann wurde ihr Mann sehr krank. Er hatte 30 Jahre nicht mehr die Sakramente empfangen. Doch er kam zurück, verlangte nach einem Priester und ging plötzlich zur Beichte. Donna berichtet:
„Ich habe ihn nicht darum gebeten. Er wollte das von sich aus. Vor 3 Jahren ist er gestorben. Viele haben ihn danach gesehen. Es geht ihm gut. Selbst hier in der Kirche sah ihn eine Frau. Sie sprach mich nach der Messe an und sagte zu mir:
‚Wie schön, dass du mit deinem Sohn da warst!’ -Ich war ganz perplex: ‚Mein Sohn? Der geht nicht in die Kirche mit mir. Das ist unmöglich.’- ‚Aber doch, es war ein junger Mann, und er ging hinter dir zur Kommunion und betete ganz andächtig.’
„Als ich nachfragte, wir er aussah, beschrieb sie ihn mir wie meinen Mann, als er 20 Jahre alt war. Auch zu mir kam er, und ich konnte ihn umarmen. Es war in einem Traum. Die Umarmung spürte ich ganze 3 Wochen lang.
Wissen Sie, meine Großmutter hatte als Indianerin die Gabe der spirituellen Träume. Sie betete und betete. Als ich 19 Jahre alt war, besucht ich sie. Mir wurde ganz anders. Sie redete von Engeln, die vom Himmel kamen und mit ihr beteten. Sie hörte wunderbare Musik.
Diese Gabe, von den lieben Verstobenen zu träumen, wird vererbt, und mein Bruder hatte diese Gabe. Ich war damals verwundert, wieso ich davon nicht betroffen war. Mein Bruder war doch gar nicht so fromm wie ich.“
Und dann kommt Donna auf ihren Sohn. Seine Frau Michaela war ein Engel. Sie waren reich, und Michaela gab so viel weg, wie sie konnte. Sie half den Obdachlosen, besorgte ihnen eine Stelle und eine Wohnung. Sie hatten in Kalifornien eine gutgehende Firma.
Michaela fand ein Mädchen, das total entstellt war. Keiner wusste, wo sie dieses Mädchen gefunden hatte. Sie käme von einem speziellen Behinderten-Heim, hat Michaela berichtet.
Und weil sie sehr intelligent sei, wolle Michaela ihr unbedingt helfen. In ihrer Firma richtete sie ihr ein Buero ein, dort, wo sich keiner an dem Aussehen der Mitarbeiterin störte.
Ihr Mann hatte Schwierigkeiten, der jungen Dame ins Gesicht zu sehen. Michaela hatte keine Probleme. Oft ging sie zu ihrem Schützling und versuchte alles, dass sie sich in ihrer Firma wohl und angenommen fühlte.
Doch auch sie verloren ihre Gewerbe 2007. Alles war so gut gegangen - und nun standen sie vor dem Nichts. Mein Sohn arbeitete, wo er nur konnte, er nahm mehrere Jobs an... es war ihm ganz egal was, und langsam, sehr langsam hat er sich wieder hochgearbeitet.
Es gab Firmen, die sagten, es könne nichts passieren - und 3 Monate später konnten sie die Löhne nicht mehr zahlen. Die Mittelschicht kämpft um’s Überleben. Aber einen Mittelstand gibt es im Grunde gar nicht mehr.
Diejenigen, denen nichts passiert ist, haben den Touch zur arbeitenden Klasse verloren, sonst gäbe es ja nicht all die ‚homeless’, jene Menschen, die vor allem in Los Angeles in Zelten hausen.
Doch Michaela ließ sich nicht unterkriegen, sie half weiterhin den Leuten. Sie ging ins Gefängnis und betete mit den Frauen. Oft wird man hier ja wegen nichts eingesperrt. In den letzten Jahren sind so viele Leute deportiert worden wie noch nie. Das weiß kaum einer.
Michaela gab den Frauen Hoffnung. Jeder wollte sie im Gefängnis sehen. Die Gebetsgruppe sei zu groß, hieß es dann von der Gefängnisleitung, es sei ein Sicherheitsrisiko. Als ob es ein Risiko ist, wenn man betet! Als ich Michaela das letzte Mal vom Gefängnis abholte, liefen ihr alle Frauen nach. Jeder wollte sie berühren.
Sie war wie ein Engel. Sie war Französin und hatte eine ganz weiße Hautfarbe. Als ich Michaela das erste Mal sah, bin ich ganz erschrocken. Sie kam hinter mir auf mich zu und sprach mich mit Mama’ an. Ich drehte mich um und sagte: ‚Oh bist Du weiß!’ Sie fragte, ob das schlimm sei. -und dann mussten wir lachen.
Mit ihrem blonden Haar stand sie auf dem Gefängnishof. Mir würde kein Mensch nachrennen, aber ihr schon. ‚Ich helfe euch’, versicherte sie, ich komme wieder, macht euch keine Sorgen!’
Doch dann wurde sie krank. Keiner wusste was sie hatte - und eine Woche später starb sie.
Sie war 42 Jahr alt. Mein Sohn hat das nicht überwunden. Er ist an keiner anderen Frau mehr interessiert, auch wenn Michaela schon seit 2008 tot ist. Er träumte von ihr. Sehen Sie, auch er hat diese Gabe der ‚spirituellen Träume’. Michaela kam und er umarmte sie. Sie wollte ihm etwas sagen, doch in diesem Moment klingelte der Wecker. Das war der schlimmste Tag im Leben meines Sohnes.
Vor sieben Monaten dachte ich, ich darf nun auch sterben. Ich hatte unerklärliche, starke Blutungen. Nur hatte ich - wie so viele ohne Arbeitsplatz - keine Krankenversicherung mehr. Früher, ja da war ich gut versichert, doch seitdem wir unser Unternehmen verloren haben, habe ich nichts mehr und jetzt brauchte ich plötzlich eine Versicherung.
Meine Schwester, die 15 Kinder hat, sagte mir, ich solle in das Krankenhaus der Indianer gehen, dort werde ich umsonst behandelt.
Als die Blutungen immer stärker wurden, rief ich dann doch im Krankenhaus an. Ich solle sofort kommen. So war ich in der Notaufnahme. Ich dachte: ‚Heute darf ich also sterben. Was für ein schöner Tag. Ich habe keine Versicherung, also lassen sie mich hier sterben.’
Die Ärzte schauten mich ganz entgeistert an. Wer will schon sterben - außer mir! Ich brauchte sofort eine Operation, doch in ganz Phoenix war kein einziges Bett frei. Endlich fanden sie ein Bett in der Mayo-Klinik in Scottsdale. Stellen sie sich vor, die beste Klinik, die es gibt.
Natürlich hatte ich - wie immer - alles dem lieben Gott überlassen, so wie Er will. Das sagte ich auch den Krankenhauspersonal. Sie sollten sich keine Gedanken machen, alles ist gut.
Als ich in der Mayo-Klinik ankam, fragte man mich sofort nach meiner Versicherung. ‚Ich habe keine’, sagte ich. Die Frau bei der Aufnahme erwiderte: ,Dann können wir sie nicht operieren.’ - Und so freute ich mich, dass ich jetzt eben in der Mayo-Klinik sterben darf. Doch nach zwei Minuten kam die Frau zurück und erklärte, sie hätten jetzt einen Weg der Finanzierung gefunden - und so wurde ich doch operiert.
Ich hatte Unterleibskrebs und brauchte eine anschließende Chemotherapie. Die kann ich mir nicht leisten. Ich sagte, man solle mich einfach in Ruhe lassen. Das ist jetzt sieben Monate her. Mir geht es prima - ganz ohne irgendwelcher Medikamente.
Ich habe meine Haare abgeschnitten, weil sie mich einfach ärgerten. Und nun kann ich endlich Hüte tragen. Zuvor sah ein Hut aus wie eine Krone, weil ich so dicke Indianerhaare hatte.
Jetzt bin ich ‚hutsüchtig’. Ich habe 18 Hüte. Eine Frau brachte mir eine Hut: ,Donna’ sagte sie – ,das ist ein Hut für dich, nur du kannst so etwas tragen. - Und außerdem bekam ich den Hut mit einem 70-prozentigen Rabatt.’ Dieser Satz hätte von meiner Schwiegermutter stammen können.“
Donna lächelt, es ist nun schon spät geworden, sie musste zu ihrem Sohn, bei dem sie wohnt. So lange wie mit mir hat sie noch nie mit jemandem geredet.
Und so gab mir Donna einen erneuten Einblick in das Leben des Durchschnitt-Amerikaners- kurz vor der Wahl 2016.


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