Monday, June 10, 2019

Ein Bericht über das kleine Malheur der Hochleistungskuh Emma


Dr. Edith Breburda


Kennen Sie das noch: Ställe, die man von der Küche aus betreten kann? Der behagliche Geruch, der das kleine Anwesen umgibt - und die Wärme, die von wiederkäuenden Tieren ausgeht?
Der Fachmann würde von Methangasen reden, die allesamt zum global-warming beitragen, von Konsumenten, die kein grasgefüttertes Fleisch mehr wollen, weil die Marmorierung des Fleisch-Fett-Anteils nicht mehr ihren Gaumengeschmack befriedigt.
Heute ist die Rede von einer gewinnbringenden Produktionsweise, die ein Multimilliarden Dollar Projekt ist. Unwichtig ist dabei, dass eine industrielle Landwirtschaft nicht darum herum kommt, unsere Umwelt mit Pestiziden, Herbiziden, Phosphaten usw. zu belasten.
Und außerdem gibt es Biogasanlagen, welche sich als ein besseres Verfahren ausweisen, als - wie noch fast vor Justus Liebigs Zeiten - die Gülle auf die Felder auszubringen.
Natürlich sind solche Anlagen schon manchmal explodiert, aber wen kümmert es. Zumindest wird der würzige Landgeruch minimiert, pathogene Keime vernichtet, und damit werden Treibhausgase reduziert.
Es ist kein Geheimnis, dass eine industrielle Landwirtschaft in einer fast unverantwortlichen Art und Weise knapper werdende Ressourcen ausbeutet. Unsere Sommer werden wärmer, und allmählich kommen wir zu der Einsicht, dass unsere Luft- und Wasserverschmutzung, die Abholzung der Wälder, eine steigende CO2-Emission, die Nährstoffverarmung, Bodenerosion und dessen Vergiftung usw., durch Massentierhaltung mitverursacht werden.
Es ginge auch anders, man müsste nur die genetisch manipulierten Futtermittel, die viele mit allen möglichen Krankheiten und Unfruchtbarkeit in Verbindung bringen, nicht mehr in einer Monokultur anbauen.
Zwischenfrüchte sieht man kaum noch. Und so wird es für die grasfressende Land-Kuh Emma fast unmöglich, aus Versehen kleeartige Leguminosen, die Knöllchenbakterien besitzen, welche letztendlich den Boden mit Stickstoff anreichern, zu konsumieren. Damit bleibt ihr die mit an höchster Wahrscheinlichkeit grenzende Gasanreicherung in ihrem Pansenmagen erspart. So passiert es nunmehr selten, dass der Tierarzt seine Diagnose der Pansen-Tympanie damit sichert, dass er ein Streichholz im Stall entzündet, bevor er mit einem Trokar in die linke Flanke des Tieres sticht, um es zu entlasten. Denn damit könnte er am Ende aus Versehen Emma exekutieren. Für den Bauern ist es irrelevant, ob sich Methangase in seinem Stall oder in der Biogasanlage verselbstständigt haben.
Eine Anbindehaltung von Mutterkühen, deren Kälber gleich hinter ihnen ihre Bretterboxen haben, ist fast schon nostalgisch. Stattdessen hören wir immer öfter über die Grausamkeiten, die mit moderner Tierhaltung einhergehen, wie zum Beispiel die Mastrinderhaltung mitten in der Halbwüste von Arizona.

Solche Buletten-Fabriken werden auch als „Kuh-KZ“ bezeichnet. Sollte man Rindern wirklich Getreide verfüttern? Ihre Mägen sind nun einmal in der Lage, Gras zu verwerten. Rinder mit Mais, Soja oder Getreide zu ernähren, entspricht überhaupt nicht ihrer Physiologie. Das Futter ist meist eine genmanipulierte Importware, die aus Argentinien oder Brasilien stammt. Um es herzustellen, werden Indianer von ihrem Land vertrieben und Unmengen an Wasser und chemischen Spritzmitteln verwendet.
Soweit muss man gar nicht gehen, wenn man herausfinden will, welche Tierhaltung artgerechter ist. Rinder konsumieren nun mal dreimal so viel Getreide wie wir. Und das ganz unabhängig davon, dass sich eine industrialisierte Landwirtschaft primär das Ziel gesetzt hat, alle Menschen der Welt zu ernähren.
Wie könnte es uns wohl ergehen, wenn wir uns als Zeitreisender im Jahr 1995 wiederfinden würden? Vormalig sah sich ein Patientinnen-Besitzer -dem eine gewisse Bauernschläue anhaftete, in der es durchaus legitim war, sie anhand des schon damals vorhandenen Internets zu kompensieren- noch veranlasst, gegenüber dem Fachmann eine zweifelnde Haltung einzunehmen. Zu den damaligen Zeiten wurden Ruminaten schlichtweg der Status eines Familienmitgliedes gegeben, und man sorgte sich, dass sie ins Schlachthaus verlegt werden.
An einem schönen Frühlingstag dieses Jahres folgte der Farmer seinem Bauchgefühl und bat den Tierarzt, doch vorsorglich vorbeizusehen. Vielleicht, weil er zu lange auf all die unangenehmen „Überraschungen“, mit denen er bei solch einem Besuch rechnen musste, verzichtet hatte.
Das Kälbchen der Kuh Emma hustete. Fiberhaft erwartete der Landwirt die Diagnose. Ich wiederhole mich zwar nur ungern, doch wie bereits in einem anderen Zusammenhang in diesem Bericht festgehalten, war in diesen antiquierten Ställen, Emmelinchen genau hinter ihrer Mama exponiert. Und woher sollte sie einen Husten bekommen haben. Von Mama natürlich. Es könnte zwar auch der Hofhund Hasso das Erregerreservoir sein, doch davon gehen wir momentan mal nicht aus. 



So liegt die glückliche Kuh Emma wiederkäuend in ihrer Bucht. Bis, ja, bis sie ein plötzlicher Hustenanfall überkommt, der sich unweigerlich auf ihr Diaphragma auswirkt. Der unerwartete Druckanstieg im Unterbauch sorgt dafür, dass Millisekunden später ein kuhfladenartiges Geschoss durch den Stall fliegt und genau auf dem Kittel des Herrn Doktor landet, der für circa eine Sekunde seinen Rücken Emma zugewandt hatte, um ihrem maladen Töchterchen seine ganze Aufmerksamkeit zu schenken. 


Präzise genau landet das braune Gebilde zwischen seinen Schulterblättern, wo es dank seiner Konsistenz und der Erdanziehungskräfte ohne große Schwierigkeiten haften bleibt. Die dem stets pflichtbewussten, üblicher Weise äußerst charmanten Tierarzt zur Seite stehende, bemerkenswert gutaussehende und nun doch sehr verdutzte Veterinärpraktikantin, die man allgemein unter der Bezeichnung VIP kennt, und deren alleiniges Interesse es ist, möglichst viel Praxiserfahrung vor ihrem dritten Staatsexamen zu erhalten, verkneift sich betreten und so gut, wie es ihr gelingt, ein Lachen. Schließlich möchte sie nicht ihre Bescheinigung für ihre Dienste vermasseln, die sie benötigt, um sich um die Tiergesundheit, die doch im wahrsten Sinne auch Menschengesundheit ist, zugelassen zu werden. Verständnisvoll steht der Tierärztin in Spee, der nur noch ein paar Prüfungen zu ihrem Traumberuf fehlen, der Bauer zur Seite. Auch in seinen Augen sieht man die unverhohlene Schadenfreude, die alle die Beteuerungen des Geschädigten, dass ihm so etwas noch nie in seinen 40 Jahren als Tierarzt passiert sei, noch potenzieren.
Das kaum bemerkbare, leicht verstohlen wirkende Rümpfen der Nase des passionierten und bald pensionierten Tierfreundes zeigt eindeutig, dass er nicht in seinem Métier ist.
Emma hingegen dreht unbekümmert ihren Kopf. Man meint fast, sie sei sehr zufrieden über das Produkt ihres faux pas. So gesehen, hatten wir schon damals Leistungskühe und all das ohne irgendwelche genetischen Manipulationen.

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