Saturday, October 3, 2020

Das Dilemma der Babyfabriken während der Pandemie


Dr Edith Breburda 

Christliches Forum, 3.Oktober 2020

Es gibt Frauen, die entweder freiwillig oder gezwungenermaßen Kinder auf die Welt bringen. Berichte über sogenannte “Kinderfabriken”, wie z.B. in der Ukraine, mehren sich. Durch das COVID-19 bedingten “Lockdowns” im Frühjahr 2020 erfuhren wir von dem Dilemma, in welchem sich Leihmutter-Kliniken befinden, weil die Babys nicht mehr von ihren Eltern abgeholt werden konnten.  

Oksane Grytsenko ging dem Baby-Business in ihrem Land im Juni 2020 nach. Neugeboren liegen in ihren Krippen. Einige weinen, anderen nuckeln an der Flasche, die ihnen eine Hilfskrankenschwester im Hotel Venice, in einem Vorort von Kiev, reicht. Das Hotel ist mit einer Mauer und Stacheldraht umgeben. 

Es handelt sich um den Nachwuchs von ausländischen Eltern, die diese beim BioTexCom Zentrum für Humane Reproduktionbestellten. Es ist die größte „Leihmutter-Klinik” der Welt. Die Babys sind im Hotel Venice buchstäblich gestrandet. Ihre Auftragsgeber konnten sie nicht mehr abholen, als im März 2020 die ukrainische Grenze wegen der COVID-19 Pandemie geschlossen wurde. 

Verängstigte Eltern versuchen, ihre Kinder über Videoanrufe zu beruhigen. Sie senden Aufnahmen von ihren Stimmen, damit ihre biologische Tochter oder ihr Sohn auf diese Weise ihre Eltern kennen lernen. 

BioTexCom hat ein Video von Hotel Venice im Mai 2020 herausgegeben, um auf das herzzerbrechende Dilemma hinzuweisen. Man will damit erreichen, dass die Grenzen wieder aufmachen, damit die Kinder zu ihren Eltern können. Das Schicksal der Babys erregte weltweit die Gemüter. Einen Monat später waren immer noch 50 Neugeborenen gestrandet. Die boomende Industrie der “Kinderfabriken” wurde dadurch noch mehr ins Rampenlicht der Kritiker gerückt. 

Die ukrainische Kinder-Ombudsfrau Mykola Kuleba redet mittlerweile von mehr als einer Verletzung von Kinderrechten. Wenn es um ihren Willen ginge, würde sie die Leihmutterschaft für nichtukrainische „Eltern“ ganz verbieten. 

Ein Ansinnen, das schwer in einem Land wie der Ukraine durchzudrücken sein wird. Wir wissen, dass Frauen dort nahezu von Extra-Cash abhängig sind. So bieten sich immer wieder verarmte Landfrauen an, Babys gegen Geld auszutragen. Ungeachtet dessen, dass sie offensichtlich einen hohen psychologischen und gesundheitlichen Preis dafür in Kauf nehmen, ihre „Gebärmutter“ auszumieten. 

Die 39-jährige Liudmyla kommt aus Vinnytsia. Die Stadt liegt südwestlich von Kiev. Die Leihmutter wartet immer noch auf das Geld für ein Mädchen, die sie für ein deutsches Ehepaar im Februar 2020 zur Welt brachte. „Ich schreibe meinen Auftraggebern sehr oft“, sagt Liudmyla. Sie schulden ihr noch 6.000 Euro, welche wegen der Pandemie nicht bezahlt werden könnten.  

Liudmyla hatte in Kiev einen erfolgreichen Embryotransfer. Während ihrer Schwangerschaft war sie in Vinnystia. Ihre Agentur verlangte, dass sie das Kind in Polen entbindet. Dort ist zwar eine Leimutterschaft verboten; die Registrierung des Kindes ist in diesem Land dafür einfacher. Jedoch wusste man in der polnischen Klinik nichts von Liudmyla. „Ich wollte sie nicht hergeben. Ich weinte.“ Die Realität holte sie schnell ein. „Ich wusste, worum es ging“, erinnert sich die Leihmutter, die sich in den Tagen des Krankenhausaufenthaltes um das Neugeborene kümmerte. 

Liudmyla ist alleinerziehende Mutter von drei eigenen Kindern. Seit Jahren versucht sie, ihre kleine Familie durchzubringen. So suchte sie 2017 die Leihmutterschaftsklinik in Kiev auf. Mit dem Geld konnte sie einen Lohn für eine Wohnung aufnehmen. Obwohl schon die erste Leihmutterschaft kompliziert war und sie während der Schwangerschaft auf der Intensivstation war, entschied sie sich, ein weiteres Kind auszutragen. Sie wollte damit ihre Wohnung abbezahlen. Eine Bleibe zu haben war besser als ein Hotelzimmer, in dem sie zuvor lebte. 

Obwohl es keine offiziellen Statistiken gibt, vermutet man, dass sich jährlich mehrere tausend ausländische Eltern  an die Ukraine wenden, um auf eine günstige und unkomplizierte Weise, Eltern eines Babys zu werden. Einzige Auflage ist, dass die heterosexuellen Eltern verheiratet sind und eine Bestätigung ihrer Unfruchtbarkeit vorliegt. 

Tetiana Shulzhynska, die in Chernihiv als Busfahrerin arbeitet, suchte 2013 die Leihmutter Klinik BioTexCom auf. Sie hatte so viele Schulden, dass ihr diese ein Fahrkarte nach Kiev senden musste. Sie trug ein Kind für ein italienisches Ehepaar aus. Doch nach zwei Monaten merkte sie, mit vier Kindern schwanger zu sein. Der biologische Vater bestand darauf, drei der Kinder im Mutterleib abzutöten. Im Mai 2014 brachte Shulzhynska eine Tochter für ihre Auftragseltern in die Welt. Sieben Monate später wurde bei Tetiana Zervikalkrebs diagnostiziert. Es dauerte fast ein Jahr, um das Geld für eine Operation aufzubringen. Kurz danach planten die Ärzte ihr linkes Bein zu amputieren, welches bereits vom Krebs angegriffen war. 

Tetjana warnt nicht nur Frauen vor einer Leihmutterschaft, sie führt mittlerweile mit einigen anderen Frauen ein Prozess gegen BioTexCorn. Die 38-Jährige ist der Überzeugung, dass viele Frauen am Ende mehr Unkosten haben werden. „In dem Vertag beschützen sie nur die Babys. Sie kümmern sich nicht um Deine Gesundheit oder gar um Dich persönlich.“

Albert Tochilovsky, der Eigentümer von BioTexCom, kann im Hotel Venice angetroffen werden. Er bestreitet keineswegs die Pannen, welche seine Firma hat. „Ich glaube nicht, dass wir die Einzigen sind, die diese Probleme aufweisen. Jetzt, wo es Gentests gibt, werden wahrscheinlich noch mehr Eltern herausfinden, dass Ihr Kind nicht mit Ihnen verwand ist.“ Für Albert liegt die Ursache bei der relativ geringen Erfahrung, die er hatte, als die Klinik noch in ihren „Kinderschuhen“ steckte. So können durchaus Embryos vertauscht werden, erklärt er.  

Hinzu kommen Elternpaare, die ihre Babys nicht annehmen wollen, weil die Gesundheitsprobleme hatten. Bridget, die Tochter eines amerikanischen Paares, wurde 2016 geboren und lebt nun in einem Weisen-Heim in Zaporizhia, im Osten der Ukraine. 

„Es war eine Tragödie für uns“, sagt der Direktor. Auf der Webseite seiner Leihmutter Klinik steht: „Wir haben die besten Leihmütter“. Er verleugnet die Misshandlung von Frauen und weiß auch nichts von Shulzhynska’s Krebs. Dennoch bezeichnet er ihre Behauptung als „schwachsinnig“, weil seine Klinik ihre Vertragspartner bestens schützt. „Bei uns passiert ihnen nichts. Wir sind nur für die den Embryotransfer zuständig. Wobei wir diesbezüglich die besten Reproduktionstechnologien anwenden. 

Gesundheitsprobleme entstehen in den Entbindungskliniken, die eventuell die Gebärmutter entnehmen müssen. Darauf haben wir keinen Einfluss. Doch selbst wenn das passieren sollte, zahlen wir eine Kompensation“, rechtfertigt sich Albert. 

Vielleicht trifft es besser zu, dass sich der Direktor die Lage nur schönredet und weltfremd auf seinen Profit aus ist. Ansonsten müsste er von all den Nebenwirkungen einer Leihmutterschaft wissen. Sie endet ja nicht damit, wenn das Auftragskind gegen ein Entgelt, von dem er das Meiste für sich behält, in die Arme der Eltern gelegt wird. 

Momentan bangen Schwangere darum, ob es den Auftragseltern überhaupt möglich sein wird, ihre Babys abzuholen. Die 26-jährige Olga aus dem Nordosten der Ukraine kam mit ihrem Sohn und Mann nach Kiev, um dort Zwillinge für chinesische Auftragsgeber zu entbinden. Sie wartet in einer kleinen Wohnung, nahe des Entbindungszentrums, auf die Geburt. Es gehe ihr gut. Manchmal trifft sie sich mit anderen Leihmüttern der Agentur. 

Für die 17,000 Euros, die sie bekommen wird, will sie ein kleines Café aufmachen. Vielleicht wird es auch ein Blumenladen. Sie ist sich darüber noch im Unklaren. Olga bemerkt: „Ich habe keinen umgebracht, oder gestohlen. Ich habe mir das Geld auf ehrliche Weise verdient.“

Ihr Sohn sitzt neben der Mutter. Er nennt die zu erwartenden Babys „Kirusha und Kirusha“.  Die einzige Sorge, die Olga hat, ist die, ob die Eltern vor der Geburt anreisen können. Ansonsten wird es ihr überlassen, für die Babys zu sorgen, bis die Eltern ankommen. Während der Pandemie kann es sich dabei um mehrere Monate handeln. Eine Mutter adoptierte am Ende das Auftragskind, weil die Eltern es nicht mehr haben wollten. 

Um die Situation zu überbrücken, warten die Babys, die täglich zunehmen, in einer provisorischen Neugeborenen-Station im Hotel Venice. Einige argentinische- und spanische Ehepaare hatten es noch vor dem Lockdown geschafft, in die Ukraine zu reisen. Glücklich wurden sie mit ihren Auftragskindern vereint. 

Wann sich der Grenzverkehr in die Ukraine wieder normalisiert, weiß keiner. Rafael Aires verbringt bereits Monate damit, seine Tochter Marta im Hotel Venice zu sehen. Die einzige Verbindung zu seiner Frau in Spanien ist über sein Mobil-Telefon. Die Eltern hatten acht Jahre versucht ein Kind zu bekommen. „Und nun‘, sagt er, „ta-dam“.[1]

Das Geschäft mit Kinderfabriken „floriert“ nicht nur in der Ukraine, wobei es dort noch am „humansten“ betrieben wird. Im Gegensatz dazu werden in Babyfabriken im afrikanischen Lagos Schwangere wie gefangene gehalten, denen die Kinder nach der Geburt entgeltlos entwendet werden. 

2019 wurde nicht nur ein einwöchiges Baby von der Polizei gefunden, sondern kurz darauf 19 Schwangere. Die unterernährten 15-28 Jahre alten Frauen, wurden an vier verschiedenen Orten Nigerias in Isheri-Osum und Ikotun festgehalten. Nach der Geburt nahm man ihnen die Kinder weg und verkaufte sie für -je nach dem Geschlecht unterschiedlichen Preisen- von umgerechnet 800-1300 Euros. 

Die Polizeieinheit Ministry of Women Affairs hatte bereits zuvor in Igando eine illegale betriebene „Kinderfabrik“ gestürmt. Während einige der Mütter wussten, dass die Kinder verkauft werden, wurden andere mit dem Versprechen nach Arbeit in die Hauptstadt gelockt. Die von der Polizei gesammelten Informationen offenbarten, dass viele der Frauen entführt wurden, um in Lagos sexuell ausgenutzt zu werden.

Wenn diese Art der Babyfabriken nicht auf den biotechnologischen Errungenschaften moderner Reproduktionsmedizin aufbaut, handelt es sich dennoch um eine moderne Art der Ausbeutung von Entwicklungsländern, die eventuell der Ausbeutung alter Kolonialherrschaften in nichts nachsteht.[2]

Allen Babyfabriken und auch Reproduktionstechniken gemeinsam ist, dass Frauen nicht nur dehumanisiert werden, sondern sich ihr Wert nach ihren Eizellen, ihrer Gebärmutter usw. richtet. Ganz abgesehen von den psychischen und physischen Tragödien, die sich hinter der Kulisse für Mütter und deren Kindern abspielen. Es handelt sich um ein oft verschwiegenes Dilemma, das nicht erst durch eine Coronopandemie in 2020 heraufbeschworen wurde. 

 

 



[1] Grytsenko O.: The stranded babies of Kyiv and the women who give birth for money. The Guardian, Juni 15, 2020

[2] M’bwana L.: 19 Nigerian pregnant girls rescued in another baby factory. The Maravi Post, Oktober 1, 2019

https://youtu.be/-aG-vtlzcMI

  

No comments:

Post a Comment

Translate