Dr. Edith Breburda
Veröffentlicht in Schattenblick, 17. Mai 2016
Es ist leicht, eine Regel zu beachten, wenn man nicht das nötige Wissen besitzt, sie zu umgehen. Seit langem haben sich Forscher darauf geeinigt, Embryonen, die der Forschung zur Verfügung stehen, am 14. Lebenstag abzutöten. Bisher war das kein Problem, weil sie höchstens sieben Tage nach der In-Vitro-Fertilisation überlebten. Am siebten bis neunten Tag nistet sich ein Affen- oder Menschen-Embryo in der Gebärmutter ein. Deshalb ist es bisher keinem Wissenschaftler gelungen, Embryos über den 7. Tag hinaus das lebenserhaltende Nährmedium bereitzustellen.
Jetzt ist dies jedoch zwei Forschungsgruppen gelungen, was die alte Debatte
um die „14-Tage-Regel“ neu entfacht.
Der Embryo muss das Blastozystenstadium erreichen, bevor er sich einnisten
kann. In den Tagen nach der Befruchtung wandert der Embryo normalerweise den
Eileiter hinunter, um sich später im Uterus zu implantieren. Im Acht-Zellenstadium,
bzw. am dritten Tag, sind seine Zellen omnipotent. In der Tierzucht kann man
den Embryo teilen und auf diese Weise acht Zwillingstiere erhalten, wenn
Leihmütter-Tiere die Trächtigkeit fortsetzen.
Die Blastozyste ist das Stadium, in dem sich der Embryo ab dem fünften Tag
befindet. Ein «Preimplantation’s Embryo» besitzt 150 Zellen.
Die Blastozyste sieht aus wie ein Siegelring. Die Siegelringstruktur stellt
den Embryoblasten dar. Es handelt sich um eine Anhäufung von etwa 30 Zellen,
die man auch «inner cell mass» nennt und woraus wir uns entwickeln.
Die Zellen des Embryoblasten sind pluripotent, weil sich die Zellen in mehr
als 220 Körperzellen differenzieren können. Um aus diesen Zellen,
Stammzelllinien für die Forschung gewinnen zu können, muss der Embryo zerstört
werden.
Wie man Stammzellen differenziert, ist nach wie vor schwierig
herauszufinden. Sobald dieses erreicht ist, sei man am Ziel der Forschung
angelangt. Die Forscher könnten es sich leichter machen, indem sie „Embryos“
länger am Leben erhalten. Am 14. Tag der menschlichen Embryogenese fangen die
Zellen an, sich in die drei Grundformen: Mesoderm, Ektoderm und Entoderm zu differenzieren.
Weil die weitere „Ernährung“ des Embryos außerhalb
des Uterus - und damit ohne eine Einnistung – bisher noch nicht gewährleistet
werden konnte, war es bis jetzt technisch nur möglich, Embryos so lange im
Labor am Leben zu erhalten, wie sie entwicklungsphysiologisch ohne Nahrung
auskommen können. Also bis zum Tag ihrer Implantation.
Die Blastozyste besteht des Weitern aus dem Trophoblasten, einem äußeren Ring von Zellen, welche die Zellhöhle, auch Blastocoel genannt, umgeben.
Aus der Ringstruktur, dem Trophoblast bildet sich die Plazenta und die
Eihäute. Der Trophoblast dringt in die durch Hormone vorbereitete Uteruswand
ein: Zellproliferation, Uterusdrüsenbildung, Gefäßneusprossungen sind auf
Hochtouren, um die Einnistung des Embryos zu gewährleisten. Die Plazenta
übernimmt die Ernährung, womit die embryonale und fötale Entwicklung gewährleistet
wird.
Das ganz spezielle Uterine-Environment und die Plazentation, die für ein
Weiterleben des Embryos notwendig sind, im Labor nachzuahmen, ist eine große
Herausforderung an Wissenschaftler.
Seit 1990 darf man in Groß-Britannien im Kontext der Fertilitätsforschung
mit bis zu 14 Tage alten menschlichen Embryos experimentieren. Verwendet werden
durften allerdings nur gespendete Embryos, die bei der In-Vitro-Fertilisation
übriggeblieben waren und ansonsten vernichtet worden wären. In England wurden
mehr Embryos erzeugt, als eigentlich gebraucht wurden. Der Anspruch der
Wissenschaftler entzündete schon damals eine enorme bioethische Debatte.
Man einigte sich, den Embryo bis zum Erscheinen eines markanten
Entwicklungsstadiums, der Primitivrinne, die am 14. Tag nach der Befruchtung
vorliegt, wachsen zu lassen.
Danach sind die Entwicklungsstufen ineinander übergehend. Wenn Biomediziner
diese Einigung nicht akzeptieren, kann es passieren, dass Forscher den
Zeitpunkt der Zerstörung des Embryos hinauszögern, in der Hoffnung, dass sich
der Embryo von selbst differenziert. Forscher argumentierten schon damals, dass
der festgesetzte Termin ein Hindernis für sie sein könnte, um den Weg der
Zelldifferenzierung herauszufinden (1).
Magdalena Zernicka-Goetz, Entwicklungsbiologin an der Englischen Cambridge
Universität war die erste Forscherin, der es vor vier Jahren gelang, Mäuseembryonen
über ihr Einnistungsstadium hinaus am Leben zu erhalten. Allerdings ist das
natürlich nicht der 14. Tag, weil Mäuse überhaupt nur 21 Tage trächtig sind.
Seitdem hat sie ihre Methode modifiziert und konnte in Kollaboration mit
dem Stammzellforscher Ali Brivanlou von der New–York-Rockefeller-Universität,
die Lebensdauer von humanen Embryos verlängern.
Beide Forscherteams entfernten die äußere Membran, welche den Embryo umgibt
und kultivierten ihn anschließend in zwei verschiedenen Nährmedien. Eines der
Medien bestand aus Kälberserum. Forscher konnten eine Art Anhaftung des
Throphoblasten auf dem transparenten Plastikmedium dokumentieren. Sie hatten
damit ein Modell, um die Einnistung zu studieren. Viele
Entwicklungsdefekte gehen auf eine fehlerhafte Nidation zurück. Eine
Alternative dazu boten bisher histopathologische Untersuchungen an Affen- bzw.
am Primaten-Embryo, der sich zum selben Zeitpunkt einnistet.
Nach der "Pseudoeinnistung" reorganisierten sich Mäuseembryonen. Ein humaner
Embryo wurde auf Gebärmuttergewebe gegeben und entwickelte verschiedenen
Zelltypen, obwohl die Ernährung durch das tote Gewebe nicht gewährleistet war.
Beide Forschungsgruppen stellten ihre Versuche nach 14 Tagen ein. Wie sie
beobachteten, boten Mäuseembryonen keinen adäquaten Ersatz. „Wir müssen diese
Forschung an humanen Embryos durchführen, um sie richtig deuten zu können. Die
„14-Tage-Regel“ hält uns davon ab,
die Eigenheiten eines menschlichen Embryos und seine spätere Entwicklung zu
studieren. Aber die Regelung hat es uns auch ermöglicht, überhaupt Forschung
mit menschlichen Embryos durchzuführen“, sagt Zernicka-Goetz.
Mit der neuen Methode der beiden Forscherteams fordern Wissenschaftler,
die sogenannte „14-Tage- Regel“ neu
zu überdenken.
George Daley, Stammzellforscher der Harvard Universität, berichtete:
„Embryos besitzen so etwas wie einen Autopiloten. Sie länger am Leben zu
erhalten, könnte Wissenschaftlern helfen, wichtige Fragen zu erforschen, z.B.
wie sich das Nervensystem aufbaut. Die 14-Tage-Schwelle abzusetzen, würde eine ausführliche Diskussion erfordern,
nicht nur mit Politikern. Die Gesellschaft müsste der Wissenschaft ihr
Vertrauen entgegenbringen.“
Insoo Hyun, Bioethiker der Case-Western-Reserve-Universität von Cleveland
des US-Bundestaates Ohio, ist Kommentator eines Artikels in der Fachzeitung
Nature. Er ruft dazu auf, mit der 14
Tages-Regel zu brechen: „Wir sind eher da, als wir dachten. Wenn wir
Embryos länger am Leben erhalten können, müssen wir uns darüber unterhalten, ob
die „14-Tage-Regel“ wissenschaftlich
noch tragbar ist. Sie wurde eingeführt, um der Forschung zu helfen und war
nicht als absolute feststehende moralische Aussage gedacht. Doch wenn wir die
Regel ändern wollen, brauchen wir viele Fürsprecher.“
Man kann Stimmen hören, dass nicht mit dem Zeitpunkt der Befruchtung,
sondern mit der Erscheinung der Primitivrinne, menschliches Leben beginnt.
Deshalb besteht man auf der „14- Tage-Regel.“
Pfarrer Tadeuz Pacholcyzk vom Nationalen-Katholischen-Bioethischen-Zentrum
in Philadelphia nennt die Regel ein „Lippenbekenntnis, um Embryonen eine Art
moralischen Status zu geben. Man hätte von Anfang an dagegen sein sollen.“
Literatur:
Edith Breburda:
Verheißungen der neuesten Biotechnologien, Christiana Verlag: ISBN-10:
3717111728, ISBN-13:
978-3717111726 oder Ebook. 2010
Patrick Monahan: Why this lab-grown human embryo has reignited an
old ethical debate. Science 4. May 2016
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