Dr. Edith Breburda
Publiziert, Christliches Forum, 7. Januar 2016
Es sei unerhört
und eine Gefahr für behinderte Kinder, Wellen zu reiten. Dem Surflehrer Jack
Viorel sollte man dies verbieten. Diese Argumente spornten Jack jedoch an.
Seine Vision ist es, Kindern zu helfen, selbstbewusst und hoffnungsvoll ihre
Zukunft zu gestalten.
Er nannte seine
Surfschule Waves of Hope (Wellen der Hoffnung).
Ein 49 jähriger,
tiefgebräunter Mann mit graumeliertem Haar steht mit den Füssen im Meer von Wrightsville
Beach in North Carolina. Lächelnd beobachtet er eine kleine Schar von Kindern,
die auf ihren Brettern die Wellen reiten. Einige von ihnen liegen, andere
stehen auf dem Surfbrett. Dass sie früher oder später ins Wasser fallen, macht
ihnen nichts aus. Sie sind begeistert und genießen sichtlich die rauen Wellen
des Atlantiks.
Dyan, Maddox und
Evan sind heute mit dabei. Alle drei Achtjährigen sind blind. Sie werden in der
Wellenreiter-Schule umsonst unterreichtet.
Jack spornt sie
an, als sie am Strand stehen und seine Instruktionen bekommen. “Die Welle hat
Dich wirklich umgeworfen. Plötzlich bist Du total verschwunden“, sagt er zu dem
kleinen Dyan. Jack nennt ihn Dynamit, weil er sogleich wieder hinaus paddelt.
„Es geht darum, sofort
aufzustehen und es wieder zu versuchen. Oft grenzen wir den Handlungsspielraum
behinderter Menschen ein. Und genau diese Einstellung, dass ihnen gewisse Dinge
niemals möglich sein werden, wollen wir brechen. Was auch immer sie in ihrem
Leben tun, sie lernen selbstbewusst und mit Zuversicht, Herausforderungen zu meistern.“
Jack deutet auf
Evan. Ein ganz normaler Junge. Er war schon vor zwei Jahren in der Surfschule.
Damals lag er nur auf dem Surfbrett. Es war ein ängstliches Kind. Heute
klatschen alle, wenn er Wellen reitet. Er rennt so schnell wieder in das
Wasser, dass die Surflehrer Schwierigkeiten haben, ihm zu folgen. Er vertrödelt
keine Minute am Strand, um die Wellen da draußen zu bezwingen. Seine Mutter
berichtet, ihr Sohn habe angefangen, alle anderen Dinge genauso zu
konfrontieren.
Seit 2007
betreibt Viroel die Surfschule. Er wollte Leute inspirieren, die sonst nie
daran gedacht hätten, ein Surfbrett auch nur anzufassen. Seine Schüler kamen
aus Weißrussland. Sie alle litten an den Folgen von Tschernobyl.
Vom
Lejeune-Jacksonville (North Carolina Marineinfanteriekorps der Vereinigten
Staaten von Amerika) kamen die im Irak und Afghanistan verletzte Soldaten.
Einige seiner
Schüler hatten AIDS. Auch Autistische Kinder waren dabei. Alle von ihnen
lernten Wellenreiten.
Jack Viorels
bekommt staatliche und private Zuschüsse. Aber eigentlich ist es Jacks
Begeisterung und Expertise, die die Schule unterhält.
“Es ist nicht so wesentlich, ob sie danach
jemals wieder Wellenreiten gehen”, sagt er. “Von Bedeutung ist, dass sie
wissen: wenn ich surfen kann, wird mir alles andere auch möglich sein. Diese
Überzeugung wird ihr ganzes Leben beeinflussen.“
Viroel hat im Laufe
der Jahre eine Strategie entwickelt. Am Strand lernen die Schüler, auf das
Surfbrett zu springen. Dann dürfen sie soweit in das Wasser, wie es ihnen
angenehm ist. Wenn sie am Ende auch nur für einige Sekunden eine Welle reiten,
hat sich die Schulung gelohnt.
Viroel will
seinen Schülern lehren, sich ihren Ängsten zu stellen und ein Scheitern zu
verarbeiten. Jeder Fall gibt ihnen auch die Möglichkeit, es wieder zu
versuchen.
„Ich glaube, das
Wichtigste für ihr Leben ist, es zu lernen, trotz Widerwärtigkeiten weiter zu
machen.“
Nicht jeder stimmt Jack zu. Als er die Schule aufmachte, bekam er Hass-Emails
in denen stand: „Sie sollten das nicht machen. Es ist zu gefährlich, behinderte
Kinder surfen zu lassen.“
„Als ich all das
gelesen hatte, dacht ich mir: Genau deshalb werde ich den Kindern Surfen
beibringen. Ich wollte mit dem Klischee, das kannst oder darfst Du nicht,
brechen.“
Sein ganzes Leben
bekam Jack diesen einen Satz zu hören, für gewisse Dinge nicht zu taugen. Schon
in der Schule sagte man ihm, er sei zu kleinwüchsig, um Fußball zu spielen.
Später spielte er in der Liga seiner Universität. Jack genoss es immer mehr den
Leuten das Gegenteil ihrer Vorurteile zu beweisen. Nach seinem Sportstudium
wurde er Ski- und Surflehrer. Doch all das reichte ihm nicht. Irgendetwas
fehlte ihm, und er hatte den Eindruck, mehr tun zu müssen. So ging er wieder
auf die Uni, um Sonderschullehrer zu werden.
Sein erstes Jahr
an einer Sonderschule wurde zum Desaster. Eine Verdemütigung folgte auf die
andere. Aber er stand immer wieder auf. „Vom Wellenreiten wusste ich, dass dich
das Meer sehr verängstigen kann. Entweder bist du hundertprozentig bei der
Sache, oder du verlässt das Wasser.“
Als Lehrer war er
ein Querdenker. An Lehrpläne hielt er sich nie. Er nahm seinen Hund mit in die
Schule und spielte mit den Kindern in den Pausen.
Die Idee, eine
Surfschule für Behinderte aufzumachen, kam ihm, als er ein Mädchen mit Kinderlähmung
an den Pazifischen Ozean mitnahm.
Vor sieben Jahren
reist der dreifache Vater zum ersten Mal nach Indien, um dort Waisenkindern surfen beizubringen. Unter ihnen war die kleine Reena, die ihn am meisten beeindruck hat.
Sie wurde als Kind entführt. Man stach ihr ein Auge aus, damit sie mehr Geld
beim Betteln eintreibt. Reena dachte, sie hätte keine Zukunft. Es fehlte ihr
eine Perspektive. Doch als Jack ihr das Wellenreiten im Indischen Ozean lehrte,
schrieb sie einen Brief an die katholischen Schwestern ihres Waisenheimes. Begeistert
berichtete sie über ihre Fortschritte. Sie versprach, eifrig in der Schule zu
lernen. Plötzlich hatte ihr Leben wieder einen Sinn. Jack kam jedes Jahr nach
Indien. Heute ist die 14-Jährige wie umgewandelt und eine der Besten in ihrer
Klasse.
Zurück in Wrightsville
Beach fährt Jack seinen buntbemalten VW, der mit Surfbrettern und Kindern
beladen ist, zum Strand, wo er auf Ben McCrosky trifft. Der einbeinige
ehemalige Unteroffizier, der in Afghanistan gekämpft hatte, schlendert mit
einem Bier in der Hand über den Strand. Auch er besuchte vor drei Jahren Jacks Surfschule.
Seinen ersten Tag verbrachte er damit, dauernd vom Surfbrett zu fallen und
wieder aufzuspringen.
McCorsky erzählt
seine Geschichte immer den neuen Schülern von Jack. Doch Jack hörte gar nicht
mehr zu. Er nimmt keinen Lob von seinen Schülern an. Er ist überglücklich, wenn
solche Dinge passieren. „Wenn ich mich müde fühle oder mich frage, ob ich
überhaupt weiter machen soll, kommen mir diese Geschichten in den Sinn. Sie
lassen mich fortfahren“, sagt Jack. (Quelle: Matt Crossman, Waves of Hope.
American Way, Dezember 2015).
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